Nach mehr als drei Stunden erwachte er aus seinem erschöpften Schlaf.
Nun war er furchtbar durstig, weil er so viele Tränen verloren hatte. Der
kleine Kupfertiegel war leer, und auch sonst befand sich kein Tropfen Wasser
mehr im Haus, bis auf den See aus Tränen unter dem Tisch. Doch Tränenwasser
ist salzig und vermag den Durst nicht zu löschen. Also machte der kleine
Mann sich mit seinem Kesselchen auf den Weg zum Dorfbrunnen. Auch brauchte er
sauberes Wasser, um sein Hemdchen zu waschen.
Der Brunnen in dem Dörfchen war ein besonders tiefer. Auf dem Steinrand
des Brunnens stand ein stabiler Holzeimer, an dem ein besonders langes Seil
befestigt war, um den Eimer über eine Winde bis tief hinunter zum Wasser zu
lassen. Normalerweise bat der kleine Mann einen anderen Dorfbewohner um Hilfe,
wenn er Wasser brauchte. Denn der volle Eimer hatte ein stattliches Gewicht,
zumal wenn er an einem so langen Seil hing.
Die Straße war zur Mittagszeit jedoch wie leergefegt. Wer nicht gerade
etwas Wichtiges zu tun hatte, hielt sich in seinem Haus auf und machte ein
Nickerchen. Aber eigentlich war der kleine Mann ganz froh, daß ihm niemand
von den Leuten begegnete, die ihn am Morgen noch ausgelacht hatten. Doch wie
sollte er nun an sein Wasser kommen?
"Heute nehme ich meine ganze Kraft zusammen", sagte er zu sich.
Diesmal wollte er es ganz alleine schaffen. Er wollte nicht immer wieder um
Hilfe bitten bei den Leuten, die ihn sonst verspotteten. Also ließ er ganz
langsam und bedächtig den Holzeimer Stück für Stück an dem
langen Seil in das dunkle, schwarze Loch des Brunnens in die Tiefe gleiten. Mit
jedem Stückchen wurde der Eimer schwerer, obwohl noch kein Wasser darin
war. Endlich, das Seil war fast zuende, hörte der kleine Mann weit unten,
wie der Eimer in das Brunnenwasser platschte.
"Das war der halbe Weg. Doch das schwerste Stück Arbeit kommt erst
noch," dachte er. Am liebsten hätte er sich jetzt in den Schatten des
Kastanienbaums gesetzt, weil er sich von der bisherigen Anstrengung so geschwächt
fühlte. Wenn er das getan hätte, dann wäre aber das letzte Ende
das Seils in den Brunnen gefallen, denn es war viel zu kurz, um es noch mit
einem Knoten irgendwo festzubinden.
Also hielt der kleine Mann nur einen kurzen Augenblick inne, bis sein Herz
nicht mehr vor Aufregung bebte. In der Zwischenzeit lief der Eimer mit Wasser
randvoll. Der Winzige packte das Seil mit seinen kurzen Fingern so fest er
konnte und zog mit aller Kraft. Der Eimer löste sich von der Wasseroberfläche
und wanderte Stückchen für Stückchen nach oben. Der kleine Mann
schwitzte vor Anstrengung. Als ihn beinahe die Kräfte verließen,
kletterte er auf den Brunnenrand, um dem Eimer ein bißchen näher zu
kommen. Er zog und zog weiter, doch der Wassereimer rührte sich kaum noch
vom Fleck. Schließlich konnte der kleine Mann den Eimer nur noch
festhalten, damit das Gefäß nicht wieder in die Tiefe glitt.
"Ohne Hilfe schaffe ich es nicht." Diese Einsicht kam jedoch zu spät.
Der Kleine konnte den Eimer nicht mehr halten. Das Holzgefäß sauste
wieder in die Tiefe, hinterher zog es das Seil und schließlich fiel der
kleine Mann gleich hinterher in die dunkle Finsternis des Brunnens. Mit einem
markerschütternden Hilfeschrei purzelte er und purzelte. Noch nie in seinem
Leben hatte er so laut geschrien, und der Schrei hallte im Brunnen und wurde so
noch viel lauter. Der Schrei fuhr durch die Straße, erklang in allen Häusern
des Dorfes, zog durch die großen Wälder und wanderte bis hinauf zur
Bergspitze, weit über den Wolken.