Während der kleine Fisch sein Heim mit der gewonnenen Blume schmückte,
stopfte sich der kleine Mann, der inzwischen wieder ganz oben auf seiner Leiter
saß, den Mund mit grünen Blättern voll. Anfangs kaute er mit
dicken Backen und viel Eifer, obwohl er eigentlich garnicht wußte, wie
diese ungewöhnliche Mahlzeit ihm helfen sollte. Da die Blätter einen
leichten Geschmack von Marzipan hatten, fiel es dem Kleinen auch nicht schwer,
ein Blatt nach dem anderen in den Mund zu schieben, doch irgendwann war dann
doch sein Bauch so dick, daß der Winzige Mühe hatte, noch weitere Blätter
zu verschlingen.
"Ich schaff' das nicht!" rief er nach oben. "Und was soll das
Ganze für einen Sinn haben?"
"Du m u ß t weiteressen!" erwiderte der Große von
oben. "Merkst Du schon etwas?"
"Mein Bauch wird immer dicker." gab er zurück und dachte bei
sich: 'Was soll das nützen? Wenn ich den ganzen Korb leeresse, dann bin ich
schließlich so dick, daß ich schon deshalb im Brunnen
steckenbleibe.' Er öffnete seinen Hosengürtel, so weit es ging, und
trotz seiner Bedenken schob er sich fortwährend neue Blätter zwischen
die Zähne. Es kostete ihn bereits Überwindung, den zerkauten Blätterbrei
hinunter zu schlucken. Dabei richtete er seinen Blick auf die Sprosse der
Leiter, auf der seine Füße standen. Erst fiel dem Kleinen garnichts
auf, doch plötzlich merkte er, daß sich etwas bewegte. Die Leiter
schien zu schrumpfen. Paßten erst alle beide Schuhe nebeneinander auf eine
Sprosse der Leiter, so mußte der Mann nun aufpassen, daß er sich
dort die Füße nicht einklemmte. Gerade noch rechtzeitig streckte er
sein eines Bein aus, bevor es stecken blieb.
Als der Mann sich umblickte, konnte er feststellen, daß sich alles um
ihn herum in der Größe änderte. Nein, er selbst verwandelte
sich. Er begann zu wachsen. Das sollte also seine Rettung sein. Wie wild stopfte
er sich weiter Blätter in den Mund und kaute und schluckte ... und stopfte
und kaute und schluckte.
"Ich wachse! Ich wachse!" versuchte er mit vollen Backen nach oben
zu rufen. Doch faßt wären ihm dabei einige Blattstückchen aus
dem Mund gefallen.
Die Brunnenöffnung schien immer näher zu kommen, doch eigentlich
wuchs er der Öffnung entgegen. Wer größer und auch dicker wird,
der wird natürlich auch schwerer. Und so fing unter dem Gewicht des nun
nicht mehr so winzigen Mannes die Leiter laut zu ächzen an. Inzwischen
brauchte er sich keine Sorgen mehr ums Ertrinken zu machen. Er stieg einfach ins
Wasser. Dabei fanden seine Füße den Boden des Brunnens, und der Mann
stand dabei nur noch bis zum Hosenbund im Nassen.
Erschrocken schwamm derweil der kleine blaue Fisch um die Schuhe herum, in
der Angst, daß etwas von seinen Habseligkeiten zu Schaden kommen könnte.
Als der Fuß des Mannes dem neuesten Schatz, der wundervollen Blüte
bedrohlich nahe kam, schwamm der kleine Fisch schnell in die Nische, wo er eine
Glasscherbe versteckt hatte, nahm das stumpfe Ende davon ins Maul und fuhr mit
voller Kraft auf das freie Stück Haut zu, das dem Mann unterhalb des
Hosenbeines hervorlugte.
"Autsch!" entfuhr es dem Mann in seinem Schmerz, und er griff mit
einer Hand ins Wasser, um sich die gestochene Stelle am Bein zu halten. Der
Fisch war von der Wucht des Aufpralls noch so benommen, daß er sich nicht
rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Und ehe er sich versah, wurde er von
der Hand des Mannes aus dem Wasser gehoben, und zappelte wild herum. Er hatte Glück.
Überrascht, wie der Mann war, konnte er den Fisch nicht richtig festhalten,
so daß dieser ihm zwischen den Fingern hindurchglitt und wieder im für
Fische wichtigen Naß landete.
Der wachsende Mann konnte sich jedoch nicht weiter um den Vorfall kümmern,
zumal der kleine Stich ihn inzwischen auch nicht mehr schmerzte. Im Korb lagen
noch immer einige Blätter, und schließlich sollte er ja alle davon
aufessen. Da der Korb nicht mitwuchs, hatte dieser für den Mann nur noch
die Ausmaße einer großen Suppentasse, so daß er diesen nun an
den ebenfalls gewachsenen Mund setzte und die restlichen Blätter alle auf
einmal zwischen seine weit geöffneten Lippen rutschen ließ.
Der Korb war leer, und der Mann konnte nur noch auf die Wirkung seiner
wunderlichen Mahlzeit warten. Er schaute nach oben und merkte, wie er dem
Gesicht des großen Mannes, das weiterhin über der Brunnenöffnung
zu sehen war, näher kam. Dem ehemals kleinen Mann sauste es vom schnellen
Wachsen in den Ohren. Die Steine der Brunnenmauer huschten an seinen Augen vorüber.
Die Knöpfe seines Hemdes sprangen ihm ab, da die Kleidung nicht mehr zu
seiner Größe paßte. Allmählich wurde das Sausen merklich
leiser. Auch kam das Gesicht dort oben nicht mehr genauso schnell näher.
Der Mann wuchs jetzt langsamer. Schließlich verstummte das Ohrensausen gänzlich,
und um den Mann herum blieb die Brunnenwand in gleicher Höhe vor seinen
Augen. Nach einer kurzen Pause wuchs der Mann nochmal ein kleines Stück,
doch dann war der ganze Zauber endgültig vorüber.
"Es reicht nicht!" schrie der Mann verzweifelt aus dem Brunnen
nach oben. "Es reicht nicht!" rief der Mann über der Brunnenöffnung
den Dorfbewohner entsetzt zu. "Es reicht nicht!" klang es enttäuscht
aus den Kehlen aller Umstehenden.